Auf der Suche nach dem Sinn
Franz Rieder • Der Mensch ist ein Teil der Natur (Last Update: 22.03.2017)
Die Frage: was ist der Mensch? hat uns schon recht deutlich werden lassen, dass sie nicht einfach zu beantworten, ja sogar recht schwierig zu stellen ist. Man kommt eben nicht weiter, wenn man das Hilfsverb sein, hier „ist“, als unwichtig abtut und einfach übergeht. Das, was alle Menschen miteinander auszeichnet, ihr Wesen also, kann nicht als eine Eigenschaft beschrieben werden, etwa als Mann und Frau. Das „ist“ löst sich zudem aus allen seinen Eigenschaften heraus, betrachtet man den Menschen von seiner Existenz her. Das „ist“ wird ein Prozess oder einfach der Vollzug des menschlichen Daseins und unterliegt der Zeit. Die Zeitlichkeit des Daseins stellt alles in den Fluss der Zeit, in das Werden, das wesentlich Veränderung ist.
Wären wir Sophisten würden wir uns auch verbieten zu sagen: Veränderung ist. Denn Veränderung bedeutet Bewegung, ist deutet auf ein eher feststehendes Seiendes wie etwa: das ist ein Mann. Nun könnten, ja nun müssten wir eigentlich gerade, wenn es um’s Seiende geht, alle Sätze mit „ist“ auflösen und so sprechen wie etwa Heidegger dies versuchte und anstelle von: das Wesen des Menschen ist, sagen: das Wesen des Menschen west… etc. Dann kämen wir sprachlich vielleicht der Wahrheit etwas näher, nur würde uns keiner mehr verstehen, so lange bis alle die neue Sprache gelernt hätten. Und ob wir dann der Problematik wirklich entkommen wären, ist auch noch eine ungeklärte Frage.
Die Frage, ob man einen neuen Verständnishorizont in einer philosophischen Sprache formulieren kann, der uns aus unserem all zu verdinglichten, in ontologischen Begriffen festgestellten Seinsbezug in eine, den Geschehnissen und komplexen Abläufen angemesseneren Sprache und damit auch einem besseren Verständnis überhaupt näher bringt, werden wir an anderer Stelle ausführlicher besprechen.
Wir haben gesehen,
dass zum Wesen des Menschen fundamental gehört, dass er nicht
als autonomes und primär selbstbewusstes Subjekt auf die Welt
einwirkt – man könnte auch sagen, er macht Geschichte –
sondern, dass sich sein in-der-Welt-sein von Beginn an in komplexer
Interaktion mit anderen Menschen und mit den ihn umgebenden Dingen
vollzieht.
Die Gestaltung seiner Lebensverhältnisse vollzieht
sich also von Beginn an unmittelbar in unterschiedlichen Kontexten,
wobei die Familie meist den zwischenmenschlich zeitweise stabilsten
Kontext in unserer Gesellschaftsform ausmacht. Trotzdem ist diese Art
der Gestaltung der Welt multidirektional. Weder begrenzt auf etwa
Vater und Mutter, oder wie Sartre das nannte in Form einer dyadischen
oder triadischen Interaktion, noch überhaupt auf eine Entität
wie die Familie – wir werden an anderer Stelle auf den Einfluss
der Sprache detaillierter eingehen.
Womit und worin immer auch das Dasein des Menschen sich vollzieht, sein Umgang mit der Welt, sein Wirken in der Welt steht auch und von Beginn an in der Frage nach dem Sinn oder der Wahrheit des Daseins. Wie aber nähern wir uns der Frage: worin liegt der Sinn des Daseins? Die Antwort ist schwierig und nicht naheliegend, denn, obwohl wir alle uns gelegentlich die Sinnfrage stellen, wir werden die Antwort nicht in unserer direkten Umgebung, also in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen finden.
Der Mensch ist ein Teil der Natur
Wir befinden uns ja immer noch im Kapitel Philosophische Anthropologie und müssen daher die Frage nach dem Sinn des Daseins ganz generell für alle Menschen stellen und zwar aus der Sicht der Existenz aller Menschen. Was hätte es für einen Sinn über das Dasein des Menschen zu sprechen, wenn kein Mensch mehr existierte? Und wenn wir darüber nachgedacht haben, drängt sich natürlich aus heutiger Sicht die nächste Frage auf: macht es einen Sinn, wenn der Mensch auf einem sonst unbewohnten und unbelebten Planeten existiert?
Wir sehen an dieser Stelle auch sogleich, dass die Frage nach dem Sinn nicht gleich bedeutend ist mit der Frage nach der Wahrheit. Die Frage nach dem Sinn umgreift die Frage nach der Wahrheit, denn auch Wahrheit ist bedeutungslos, wenn ihre Frage wie deren Antworten keinen Sinn ergeben, weil der Mensch nicht mehr existiert. Die Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins reicht also zurück an die Existenz des Menschen und ist verbunden mit der in der Philosophie bekannten Frage: Warum ist etwas und nicht nichts? Der letzteren Frage, der erkenntnistheoretisch schwierigsten, wenden wir uns aber in einem anderen Kapitel zu.
Die Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins, nach dem Sinn seiner Existenz, kommt in unserem Denken immer in Verbindung mit der Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Natur auf. Nun wissen wir bereits, dass damit die Frage selbst nicht mehr als solche betrachtet wird, sondern schon aus dem Kontext dieses eingeführten Verhältnisses heraus, was schon einen immensen Unterschied ausmacht.
Die griechische Antike wusste bereits um diesen Unterschied bzw. die Setzung eines Gegensatzes zwischen Mensch und Natur. Dort wurde es als „Satzung“ reflektiert (Gesetz, altgr. νόμος, nomos), wobei Nomos dasjenige meint, was vom Menschen gesetzt wurde und also nicht wesensmäßig der Natur selbst zukommt 1. A propos; eine naheliegende Assoziation von Satzung und Gesetz zu der Bestimmung: was dem Menschen nicht wesensmäßig zukommt, könnte an dieser Stelle mal versucht werden.
Natur (lateinisch natura von nasci „entstehen, geboren werden“, griech. semantische Entsprechung φύσις, physis, vgl. „Physik“) bezeichnet in der Regel das, was nicht vom Menschen geschaffen wurde und wird in der Philosophiegeschichte bis heute als Begriff kontrovers diskutiert. Wir möchten aber nur kurz daran erinnern, dass nicht nur in der Antike die Geburt des Menschen als ein „natürlicher“ Vorgang verstanden wurde und der Mensch qua Geburt als Teil der Natur, als Teil des Kosmos‘ gesehen wurde. Die Existenz des Menschen war dereinst durchaus und zuallererst ein physikalisches Ereignis – im Gegensatz zur heutigen Auffassung, das die Geburt ein familiales, ein genetisches Ereignis sei.
Es darf durchaus als ein eher philosophisch-intellektuelles Problem betrachtet werden, die Kulturfähigkeit des Menschen in Gegensatz zu seiner Physis zu bringen und ich erinnere mich an lebhafte Diskussionen mit 68er Philosophen darüber, ob überhaupt noch etwas Natur an uns Menschen sei, was diese natürlich vehement verneinten.
Wenn das Dasein sich also als ein in-der-Welt-sein vollzieht, dann ist damit noch nicht geklärt, was denn mit der Welt gemeint sein kann. Blicken wir weit zurück wieder in die Zeit der Antike, dort besonders zu den sogenannten Vorsokratikern, dann finden wir bei allen uns bekannten Philosophen aus jener Zeit ein Hauptthema nämlich die Frage nach dem Ursprung aller Dinge, die Frage nach der arché (altgriechisch ἀρχή für ‚Anfang, Prinzip, Ursprung‘). Und wir haben bereits auf den fundamentalen Unterschied hingewiesen, der zwischen der vorsokratischen und dann letztlich der aristotelischen Philosophie bestand bezüglich dieser Frage.
Die Antike dachte die Frage nach dem
Anfang des Seienden, die Suche nach einem Urstoff, aus dem alles
besteht, oder die Suche nach einem Urprinzip, in dem das Werden, also
Entstehen und Vergehen als Gesetzlichkeit der Welt enthalten sei, in
sehr unterschiedlichen Arten und Weisen und mit unterschiedlichen
Ergebnissen.
Bei Thales etwa besteht alles, was ist, aus Wasser.
Selbst die Erde bzw. die Welt des Seienden treibt auf einem Urmeer
bzw. Urstrom und Erdbeben sind durch Wellengang verursacht. Das
Wasser war ihm das formgebende Prinzip, Anfang alles Seienden.
Sein
Schüler, Anaximander, sah die Arche im Apeiron, der Luft.
Und Empedokles bestimmte dann alle vier Elemente als den Urstoff und
die Kraft der Liebe als formgebendes bzw. die Elemente verbindende
und den Hass als sie trennende Kraft, die dann die vielfältigen
Erscheinungen, also das sinnlich wahrnehmbare Seiende bilden.
Wie
dem auch sei, selbst die Zahl, die Pythagoras als formgebendes,
ordnendes Prinzip dachte, alle sahen den Ursprung allen Seienden in
der φύσις, Physik. Nun hat die Physik der
Antike wenig zu tun mit der, die wir heute kennen, obwohl die moderne
Physik die gleichen Fragen stellt, wie die antiken Philosophen und
immer noch sind sie unbeantwortet.
Anmerkungen:
1 vgl. Der Brockhaus: Philosophie: Ideen, Denker und Begriffe. Leipzig/ Mannheim 2004, S. 225
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